Emotional - eine Definition.
Die mir völlig unbekannte Frau in der Fernsehshow weint. Ich weiß nicht warum und es ist mir auch völlig egal. Aber sie weint. Und die Kamera hält drauf. Näher und näher. Denn das wollen wir sehen. Warum sie weint, bekommen wir irgendwie hintenrum mit. Es ist irgendetwas Plakatives. Schlimme Kindheit, Vater soff, Mutter unehelich und abgehauen, oder sowas.
Und jetzt singt sie. Oder tanzt. Oder wandert aus. Auf jeden Fall tut sie das, was sie tut, im Fernsehen. Das muss so sein, damit es jeder sehen kann. Und sie weint. Und mindestens einer weint mit. Und alle sehen zu.
Ich weiß immer noch nicht warum, darum bin ich froh, dass uns die Moderatorin wenigstens das Wie erklärt: „Das ist jetzt sicher ganz emotional für dich.“
Und der Herr sprach: „Dies sei das Wort der Stunde: emotional!“
Warum eigentlich? Stimmt das überhaupt?
Die hat rumgeheult. War traurig. Hat genau eine Emotion von hunderttausenden gezeigt und die Fernsehvokabel heißt reflexartig „emotional“.
Man benutzt also einen unscharfen Oberbegriff, dazu noch ein Fremdwort, für eine präzise eingrenzbare Situation. Sie war nicht schockiert, berührt, ergriffen, erregt, schmerzerfüllt oder ganz einfach traurig - nein, sie war emotional. Huuuuuh, das klingt groß. Das klingt größer, als es war und darum geht es ja im Fernsehen.
Und der Herr sprach: „Gehet hin und benutzt alle dies Wort: ‚emotional‘“
Und alles ging hin und redete fortan: „Das war so emotional! Was für ein emotionaler Auftritt!“
Und siehe, wir sehen nicht, dass wir unserer Sprache dabei zusehen, wie sie verarmt. Wie sie in Oberbegriffen eingeht. Und wir geben der Fremdsprache die Schuld. Und den Flüchtlingen. Und der Regierung.
Und die Folge? Wir vergessen die Bedeutung von Gefühl, denn Gefühl ist mimimi, und wir wälzen uns in der Worthülse Emotion.
Was heißt eigentlich ‚emotional‘?
Emotional ist ein Kompositum: Darin steckt elektrisch, Medien, Lotion und anal.
Elektrisch, weil es genau dort auftaucht, wo sich die Information und Unterhaltung erst selbst zum Medium wird, im digitalen Äther, im physischen Nirgendwo.
Medien nennt sich das, was sich selbst Oberbegriff sein will, denn es ist nicht Fernsehen, Radio, irgendwelche Streams, Gazetten, Magazine, Zeitungen? Neeeein: Medien. Plural. Selbstverdoppelnd. Allgegenwärtig. Omnipotent. Alles auf einmal. Wer seine eigene Mehrzahl ist, muss sich um die Schärfe seiner Einzelteile nicht mehr kümmern. Und genau hier sitzen die Sprachmacher hinter den Hebeln und rollen uns die Aufblasbegriffe in den Weg.
Bücher hingegen haben das überhaupt nicht nötig. Sie sind sich selbst konkreter Gegenstand genug.
Lotion glitscht schön. Und macht jung. Zumindest von außen. Und genau so wirkt 'emotional' auch. Es ist ein dynamischer Terminus Glitschus, der so widerstandslos in die Hirnwindungen gleitet und sie dadurch streckt. Und parallel anordnet. Und uniformiert. Weil er so jung, so neu aussieht. Das wollen wir haben.
Bleibt noch anal. Und genau dafür ist es.
Und jetzt komme man nicht mit dem Einwand: Wie kann man da so kalt sein, die war doch sooo emotional? Muss man da nicht mitweinen?
Nein. Muss man überhaupt nicht. Aber die wollen, dass man das muss. Das haben sie uns ankonditioniert. Und genau im reinen Reflex bleibt es auch stecken - der Abziehbild-Aristoteles erzeugt Tränen ohne Katharsis. Weil die Fallhöhe des Helden bergauf geht. Damit wir es begreifen.
Und die Frau weint immer noch. Aber mich beeindruckt das überhaupt nicht.
Ich bin dafür viel zu emotional.
P.S.:
Wie? Ihnen ist hier zu oft ‚und‘ vorgekommen? Und das wäre schlechter Stil?
Sehen sie?