Klaxon Bell

Kompostita

Wenn ich tief in der menschlichen Psyche graben, bis zum Fundament der Existenz vorrücken und archaische Essenz schnuppern will, gehe ich einkaufen, und zwar mittags.
Nicht etwa shopping, oder noch schlimmer ,shoppen‘ - jenem sich auch noch reimenden Surrogat für poppen, quasi der teure Koitusersatz für die Frau, die nicht golft - nein, einkaufen.
Interessantes Wort auch. EINkaufen. Hineinkaufen, oder besser: HEREINkaufen. Immer nur rin in den Wagen. Aus Sicht der Läden ist es dann natürlich Hinauskaufen.
Mein liebstes Hinauskaufgeschäft ist jenes, welches standhaft beweist, dass in Deutschland Mauern glänzend funktionieren können - nur wird hier nicht Ost und West, sondern Nord und Süd fein säuberlich getrennt.
An der Kasse der im Volksmund so geschmeckten Gourmetvariante dieses Diskonters kam es dann neulich zu einem unverhofften Showdown. Und es war noch nicht einmal mehr High Noon.
Ich hatte gerade meine beiden Gegenstände auf das Band gepackt und vor meine Paprika das tobleroneartige Plastikklötzchen gelegt, von dem der Gourmetvolksmund ach so gerne wüsste, wie es heisst - denn der halbgebildete Mensch weiss: was keinen Namen hat, existiert auch nicht. Wie sonst kann man es sich erklären, dass ständig jenes ungeschriebene Gesetz missachtet wird, dass man doch bitte NACH seiner zukünftigen Ware ein Klötzchen auf das Band zu legen habe. Ich bin sicher, ich bin der einzige, der immer ZWEI legen muss. Genauso bin ich allein derjenige, dessen Schlange am längsten wird, der immer die hässliche Kassiererin bekommt und bei dem die Bonrolle versiegt.
Genau diese Situation wollte ich freundlich lächelnd entzerren, als sich das Meins-Deins-Klötzchen vor mir am Ende des Bandes verfing und nun meine Paprika direkt neben der Packung Negerküsse des Vordermannes befand. Oder waren es Schaumküsse? Schokoküsse? Bei aller politischen Korrektheit - Hand aufs Herz - was davon küssen SIE am liebsten und - was viel wichtiger ist - wer von den dreien fühlt sich durch einen Kuss am ehesten geschmeichelt?
Jedenfalls brach Panik aus - Verwirrung gar, wie sie nur eine Kassiererin heraufbeschwören kann. Unfähig, den Bewegungswinkel des Meins-Deins nachzuvollziehen und so zu merken, dass der deutsche Durchschnittsdiskontkunde eh meistens die größten, breitesten und längsten Gegenstände nach ganz hinten legt (am besten die Rolle Alufolie, die schon rein optisch verdächtig terminal wirkt) stoppte sie ihre typische Handbewegung über die diabolisch leuchtende Glasplatte, die mit einem kalten „Bipp!“ bilanztechnisch aus dem Wareneingang einen Ausgang machte, und blickte mich ebenso an.
Ich versuchte ein Lächeln und sagte: „Ab da, wo es gesund wird, isses meins.“
Das fand der Dickmann vor mir fast erheiternd und rang sich ein Mundwinkelzucken aus dem obesen Gesicht.
So beflügelt versuchte ich eine erheiternde Spitzfindigkeit, als ich dann endlich an der Reihe war. Grienend deutete ich auf den zweiten Gegenstand, den ich von der Aktionsfläche gefischt hatte und fügte hinzu: „Ich weiss noch gar nicht, was ich mit der Funkwanduhr anfangen soll. Ich hab nämlich gar keine Funkwand. Eigentlich ist das Kompositum völlig falsch. Es müsste ‚Wandfunkuhr‘ heißen. Erst einmal ist es doch eine Funkuhr, die an der Wand hängt. Es heisst ja auch nicht Zimmerschlafschlüssel und Fußdamenvereinball.“
Die Kassiererin schaute mich lange an. Mir war nicht klar, ob mein schalkhafter Versuch ihr Sprachzentrum überlastete, bestand ihr Tagespensum an Konversation doch eher aus immerhin unbewussten Trochäen wie „Bar oder mit Karte“ und „Brauchen Sie n Bon?“.
Doch das war erstens nicht ihre Schuld und zweitens angesichts der sonst anwesenden Kundschaft immer noch ein philologischer Ritterschlag.
Schließlich holte sie tief Luft und sagte: „Sind Sie Lehrer?“

Die dünne alte Frau mit den Schnippelbohnen fuhr mir gnadenlos von hinten in die Hacken. Hastig zahlte ich bar oder mit Karte und verließ das Feld.

Ich wollte ja noch zum Anwalt, Mediamarkt verklagen. Ich hatte Anfang der Woche ein Autoradio für teures Geld gekauft. Jetzt hatte ich aber die Werbeanzeige dabei, in der stand:
Montage kostenlos.

Nicht mit mir.